Christen beten 30 Jahre nach der Wiedervereinigung

100 Teilnehmer erinnern am Tag der Deutschen Einheit in der Innenstadt an die friedlichen Proteste von damals.

Von Chrismie Fehrmann Mitte. WZ, Ausgabe vom 5.10.2019 / Seite 23.

Es sind bewegende Momente, abends, am Tag der Deutschen Einheit. Als sich rund 100 Menschen mit brennenden Kerzen vom Rathaus in Richtung Dionysiuskirche aufmachen, beginnen die Glocken des großen Gotteshauses zu läuten. Kurz zuvor hatte der Regen aufgehört. Die Menschen haben die Lichter in Gläsern oder Ampeln befestigt und schützen sie so vor dem Wind. Ulrich Freischlad von der Evangelischen Allianz Krefeld erinnert an das Zitat von Volkskammerpräsident Horst Sindermann von vor dreißig Jahren: „Wir waren auf alles vorbereitet, aber nicht auf Kerzen und Gebete.“ An diesem Gedenk-Abend in Krefeld wird dies nachempfunden.

Unter den Teilnehmern sind auch Gäste der Baptistengemeinde aus Krefelds Partnerstadt Uljanowsk. Priester Viacheslav Zhuravlev sagt: „Es ist ein besonderer Tag. Wir danken Gott, dass die Vereinigung Deutschlands so friedlich verlaufen ist, denn Gott ruft zum Frieden auf. Wir haben vor dreißig Jahren versucht, das Geschehen in den Nachrichten zu verfolgen.“ Ilse Karunaratna hat die schwierigen Verhältnisse der DDR-Bürger hautnah miterlebt. „Hier in Krefeld kannte ich eine Frau, die aus der DDR stammte und an Krebs erkrankt war. Ihre Mutter hatte große Schwierigkeiten, eine Ausreise in die Bundesrepublik zu bekommen, um ihre Tochter besuchen zu können. Beide hatten große Angst, sich nicht mehr wiederzusehen“, berichtet sie. „Ich habe vor einiger Zeit die Nikolaikirche in Leipzig besucht, die eine bedeutende Rolle während der friedlichen Revolution und schon in der Zeit der Montagsdemonstrationen spielte.“ Es sei gut, dass sich jetzt die Christen aller Gemeinden zum Gedenktag finden, erklärt sie weiter.

Ute Schreiber berichtet, dass sie 1959 über das Notaufnahmelager Marienfelde in Berlin nach Krefeld gekommen sei. „Mir ist die Einheit immer schon ein großes Anliegen gewesen. Ich habe Repressalien erlebt.“ Heidi Titt erklärt: „Ich möchte Gott heute die Ehre geben, dass dreißig Jahre Frieden ist. Ich habe damals viel gebetet.“ Klaus-Jürgen Pütz sagt: „Auch ich möchte Gott für das Wunder danken, dass es unblutig zur Wiedervereinigung kam. Ich möchte heute danken, in einer Zeit, wo die Menschen nicht mehr so tief an Gott glauben.“

Zeitzeuge berichtet über den Besuch bei seinem Brieffreund

In der Dionysiuskirche berichtet Klaus-Norbert Kremers von der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen von seinen Eindrücken als Zeitzeuge, als er bei seinem Brieffreund in Ost-Berlin eingeladen war: „Ich war dort zum 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober und nicht darauf gefasst, dass ein Panzer unter meinem Fenster stehen würde, dort positioniert um, wenn es politisch eng würde, zu zeigen, wer hier das Sagen hat.“ Einige Tage zuvor habe er an der Gethsemanekirche den Protest mit Kerzen und Gebeten miterlebt, ohne dass Polizei oder Stasi etwas dagegen unternahmen. „Als ich dann wieder westdeutschen Boden betreten hatte, hörte ich Berliner, denen ein Tagesvisum verweigert wurde schreien: ,Wir wollen rein`. Welcher Kontrast zu dem ,Wir wollen raus` der Bürger nur wenige Meter entfernt. Da wurde mir klar, das konnte nicht mehr lange gut gehen. Keine fünf Wochen später fiel die Mauer.“

Die Gläubigen brechen danach auf über Rhein- und Hochstraße zur Alten Kirche; sie wollen „in der Stadt gesehen werden“. Dort zelebriert Pfarrer Manfred Bautz eine Andacht zu einem Bibelwort, das auch schon in der Nikolaikirche Gehör fand: „Einer trage des anderen Last so werdet Ihr das Gesetz Christi erfüllen.“

»Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen Krefeld und die Evangelische Allianz Krefeld haben nach dem Gang „Jesus to go“ über die vier Wälle, nun zur zweiten Veranstaltung innerhalb kurzer Zeit geladen. Jedes Mal sollen Christen aller Glaubensrichtungen gemeinsamen in Krefeld unterwegs sein. Oberbürgermeister Frank Meyer war Schirmherr der jüngsten Veranstaltung zum Tag der Deutschen Einheit.